Sonntag, 24. Oktober 2010

So ein kleines bisschen Rebellion. Georg Schramm in Erfurt, 23.10.2010

"Meister Yodas Ende", das neue Programm Georg Schramms, heute übrigens erst zum 17. Mal vor zahlendem Publikum, traf, wie die beiden Vorgängerprogramme auch, mitten ins Herz der anwesenden Erfurter. In der schon lange ausverkauften Alten Oper wurde bereits die erste Sichtung des Künstlers von frenetischem Beifall begleitet, natürlich auch eine Nachwirkung des exzellenten Auftritts vor anderthalb Jahren an gleicher Stelle mit "Thomas Bernhard hätte geschossen".

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Wiederum bot Georg Schramm weit über zwei Stunden seinen vier Persönlichkeiten volle Entfaltungsmöglichkeiten - Rentner Dombrowski, Sozialdemokrat August, Oberstleutnant Sanftleben und der namenlose rheinländische Magensondenvertreter auf 400€-Basis.

Rahmenhandlung des Programms bildete diesmal die Selbsthilfegruppe "Altern heißt nicht trauern", deren Vorsitz Dombrowski übernommen hat, OTL v. Sanftleben referiert, der Hesse August und der Rheinländer hören gesprächig zu. August begann, sein Luftgewehr streichelnd, mit den vertraut launigen Gedankengängen. Seine in "Mephistos Faust" noch so anrührend geäußerte Vorstellung vom bescheidenen Ruhestand mit seiner Frau ging tragischerweise nicht in Erfüllung - er ist nun Witwer und Kleingärtner. Er sinniert an der Oberfläche frohsinnig über seine Luftgewehr-Zielscheiben "Bild", Ackermann, Merkel, Westerwelle, ihm ist aber ständig die innere Verzweiflung anzumerken. Es brodelt auch in ihm, er will sich nicht mehr mit seinem Leben so abfinden, der bedächtige Sozialdemokrat wird impulsiv. Als ersten Akt des Ungehorsams gegenüber dem "normalen" Lauf der Dinge stiehlt er die Urne seiner Frau vom Frankfurter Hauptfriedhof und beerdigt sie unter ihrem ehemaligen Sitzplatz auf der heimischen Gartenbank. Später sympathisiert er offen mit den 4 greisen Entführern des Anlageberaters, später schließt er sich Flashmobs an, die in Supermärkten Dutzende voller Einkaufswagen zurücklassen. Unter heftigem Kirschwassereinfluss wird schließlich im Kleingärtnerkreis sogar das Überreichen einer Nicht-Schokopudding-Bombe an einen unwilligen Supermarkt-Geschäftsführer diskutiert.

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Sportschützen, Testosteron, der Unteroffizier der Reserve von Guttenberg und anderes Steinzeitliches werden in den zwei äußerst amüsanten Auftritten des Oberstleutnants von Sanftleben abgehandelt. Bittere Einsichten kommen natürlich auch hier zutage, die Figur lässt aber wie immer nichts an sich ran.

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Hauptfigur Dombrowski verändert sich dagegen beim zornigen Grübeln immer mehr, der Bogen spannt sich von der katholischen Kirche, Spekulanten, Finanzhazardeure bis hin zu Schwarz-Geldb ("Das Furunkel am Hintern des Bösen") - aber bei der wachsenden Rage bereitet ihm eins wirkliche Sorgen - sein Lebensende. Nicht das Ende selbst, nein, der Weg dahin. Eventuell als demenzkranker Pflegefall. Eine Krankheit, dessen offensichtliches Einsetzen man als Betroffener nicht mehr merkt. Fütterung mit Magensonde. Waschen, Füttern und Stuhlgang nur noch im Plural: "So, jetzt gibt es happihappi und dann gehen wir fein auf Toilette". Was er gegen diese Aussichten tun kann, welche Alternativen ihm bleiben.

Stille im Publikum, jeder stellt sich die Frage gerade selbst. Manche sicher nicht zum ersten Mal. Der gesenkte Blick fällt auf den schmalen Untertitel des Programms auf der Eintrittskarte: "Über die Zweckentfremdung der Demenz".

Dombrowski als Selbstmörder? "Wer dabei scheitert und erwischt wird, kommt zwangsweise in die Psychiatrie. [...] Am Weihnachts- und Silvesterabend sitzen wir dann im Gemeinschaftszimmer, vollgepumpt mit Stimmungsaufhellern und dürfen nun länger aufbleiben, weil doch die Ansprachen von Kanzlerin und Präsident so spät kommen." An dieser Stelle denkt man unweigerlich ein paar Minuten zurück, als Dombrowski zeterte:

Thomas von Aquin hat schon vor 600 Jahren vor Typen wie Christian Wulff gewarnt: "Die blasse Harmlosigkeit, die sich leider oft erfolgreich für Sanftmut ausgibt, sollte doch niemand für eine christliche Tugend halten."

Und ein extrovertierter, "Ich reiß einen mit"-Selbstmord? Dombrowski sitzt am Tisch, überlegt, vor ihm eine Pillendose. "20mg pro Kilogramm Körpergewicht. Wissen Sie, wieviele Pillen das bei mir sind? Und wenn ich dann noch, sagen wir mal, den gefesselten Hans-Olaf Henkel oder Hans-Werner Sinn neben mir sitzen hätte. Nein, nein, das dauert zu lange."

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Am Ende des Programms brandet tosender Beifall auf, der Künstler bedankt sich artig, ehrlich erleichtert ob des Erfolg seines jungen Programms. Man wirft einen letzten Blick auf das zur Garderobe fliehende Publikum. Bildungsbürger, zu 80% grau-meliert, Generation 50+, ganz typisches Kabarettpublikum, alle für sich wahrscheinlich hochsympathische Menschen.

Aber würde man diesen 950 Leuten auch nur ein kleines bisschen Rebellion gegen "alternativlose" Zustände und Lösungen zutrauen?

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Naja, er hat ja auch seine schönen Seiten.

Herbst

(Nikon Nikkormat FT-N, Nikkor-S 1.2/55 @ f2.8, Kodak Elitechrome 100)

:)

Montag, 4. Oktober 2010

Photobooth.

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Gestern auf der Hochzeit: Eine kleine improvisierte photobooth auf der Dachterrasse kann richtig Spaß machen - zumindest solange, bis ein 10jähriger "ginger freak" mit leichtem ADS das Stativ mit der Kamera drauf umrennt. ich freu mich schon richtig auf das Theater mit der Haftpflichtversicherung der Eltern...

Martin Sonneborn - "Heimatkunde" im HdS Erfurt, 3.10.2010

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Wie bereits erhofft, wurde die zweistündige Lesung von Martin Sonneborn vor ausverkauftem Haus, darunter immerhin 300 politisch Interessierte, 5 langhaarige PARTEI-Aktivisten, 4 "Wessis" und 6 Modellbahnfreunde, zu einer sehr lockeren, humorvollen und kurzweiligen Veranstaltung. Der - als solche erkennbare - Propagandaanteil für DIE PARTEI blieb mit etwa einem Viertel der Zeit überraschend kurz, der Wiederaufbau der Mauer wurde auch nur am Rande thematisiert. Vielleicht hatte Martin Sonneborn ja wirklich Angst vor einem wütenden Ossi-Mob. Am Abend des 20.2.1990 brüllte schließlich ein lauter, und daher als eher bildungsfern einzuschätzender Mob nur wenige hundert Meter weiter auf dem Domplatz "Wir sind ein Volk" dem sichtlich gerührten Helmut Kohl entgegen. Vielleicht war es aber tatsächlich nur die Tatsache, dass in Thüringen derzeit keine Wahlen anstehen. Die locker vorgetragene Geschichte mit dem von der PARTEI, Ortsgruppe Dresden geplanten Wiederabriß der Frauenkirche erwies sich trotzdem als Türöffner für die hiesigen Herzen.
Die nicht mit derart unsubtiler Propaganda besetzte Zeit wurde der pointiert vorgetragenen Lesung des Schöhnbohm-, Bootskapitän-, Modellbahner- und Chinesenkapitels aus seinem Buch "Heimatkunde" gewidmet. Da viele der Anwesenden nur den Film kannten, den ich übrigens als ein satirisches Meisterwerk schätze, illustrierten sie die darin stellenweise sehr flüchtig behandelten Szenen ideal. Die kleinen Überleitungen mit Hilfe kleiner Filmausschnitte aus "Heimatkunde" sind gut gelungen.
Ein paar Seitenhiebe auf die Bahn, mit der der Künstler heute abend ohne Zuhilfenahme des 3. Oktober-Bahnspecials nach Erfurt (Sonneborn: "Dings") anreiste, illustrierten zusammen mit dem offen zur Schau gestellten Biergenuss (ein Becks in der Pause mit Groupies, eins danach) seinen offensichtlich volkstümlichen Lebenswandel. Im zweiten Teil steigerte sich die Menge des audiovisuelle Inhalts auf geradezu hochaktuelles Niveau. Sein MacBook spielte die Clips der denkwürdigen (und natürlich bei youtube abrufbaren) heute-Show-Auftritte Sonneborns bei der Generika-Pharmalobby, als Google HomeView-Agent in einem Provinznest und als 60-Jahre-Grundgesetz-MC in Trebbin auf einer großen Leinwand ab. Nach mehr als zwei Stunden bester Unterhaltung endete die Lesung mit einem sehr guten Ankommer: "Schauen Sie, es ist schon spät und sie müssen morgen sicher auch wieder früh raus auf die Felder..."
Vor Erreichen des letzten Zuges (viel Spaß in der CityNightLine) blieb ihm aber noch Zeit zum Signieren mitgebrachter Devotionalien. So befinden sich seit etwa einer Stunde zwei von ihm signierte PARTEI-Poster bei mir an der Wandzeitungeinem Ehrenplatz im Flur. Eine von ihm in feiner Handschrift hinzugefügte Parole lautet:

"Die endgültige Teilung - das ist unser Auftrag!"