"Meister Yodas Ende", das neue Programm Georg Schramms, heute übrigens erst zum 17. Mal vor zahlendem Publikum, traf, wie die beiden Vorgängerprogramme auch, mitten ins Herz der anwesenden Erfurter. In der schon lange ausverkauften Alten Oper wurde bereits die erste Sichtung des Künstlers von frenetischem Beifall begleitet, natürlich auch eine Nachwirkung des exzellenten Auftritts vor anderthalb Jahren an gleicher Stelle mit "Thomas Bernhard hätte geschossen".
Wiederum bot Georg Schramm weit über zwei Stunden seinen vier Persönlichkeiten volle Entfaltungsmöglichkeiten - Rentner Dombrowski, Sozialdemokrat August, Oberstleutnant Sanftleben und der namenlose rheinländische Magensondenvertreter auf 400€-Basis.
Rahmenhandlung des Programms bildete diesmal die Selbsthilfegruppe "Altern heißt nicht trauern", deren Vorsitz Dombrowski übernommen hat, OTL v. Sanftleben referiert, der Hesse August und der Rheinländer hören gesprächig zu. August begann, sein Luftgewehr streichelnd, mit den vertraut launigen Gedankengängen. Seine in "Mephistos Faust" noch so anrührend geäußerte Vorstellung vom bescheidenen Ruhestand mit seiner Frau ging tragischerweise nicht in Erfüllung - er ist nun Witwer und Kleingärtner. Er sinniert an der Oberfläche frohsinnig über seine Luftgewehr-Zielscheiben "Bild", Ackermann, Merkel, Westerwelle, ihm ist aber ständig die innere Verzweiflung anzumerken. Es brodelt auch in ihm, er will sich nicht mehr mit seinem Leben so abfinden, der bedächtige Sozialdemokrat wird impulsiv. Als ersten Akt des Ungehorsams gegenüber dem "normalen" Lauf der Dinge stiehlt er die Urne seiner Frau vom Frankfurter Hauptfriedhof und beerdigt sie unter ihrem ehemaligen Sitzplatz auf der heimischen Gartenbank. Später sympathisiert er offen mit den 4 greisen Entführern des Anlageberaters, später schließt er sich Flashmobs an, die in Supermärkten Dutzende voller Einkaufswagen zurücklassen. Unter heftigem Kirschwassereinfluss wird schließlich im Kleingärtnerkreis sogar das Überreichen einer Nicht-Schokopudding-Bombe an einen unwilligen Supermarkt-Geschäftsführer diskutiert.
Sportschützen, Testosteron, der Unteroffizier der Reserve von Guttenberg und anderes Steinzeitliches werden in den zwei äußerst amüsanten Auftritten des Oberstleutnants von Sanftleben abgehandelt. Bittere Einsichten kommen natürlich auch hier zutage, die Figur lässt aber wie immer nichts an sich ran.
Hauptfigur Dombrowski verändert sich dagegen beim zornigen Grübeln immer mehr, der Bogen spannt sich von der katholischen Kirche, Spekulanten, Finanzhazardeure bis hin zu Schwarz-Geldb ("Das Furunkel am Hintern des Bösen") - aber bei der wachsenden Rage bereitet ihm eins wirkliche Sorgen - sein Lebensende. Nicht das Ende selbst, nein, der Weg dahin. Eventuell als demenzkranker Pflegefall. Eine Krankheit, dessen offensichtliches Einsetzen man als Betroffener nicht mehr merkt. Fütterung mit Magensonde. Waschen, Füttern und Stuhlgang nur noch im Plural: "So, jetzt gibt es happihappi und dann gehen wir fein auf Toilette". Was er gegen diese Aussichten tun kann, welche Alternativen ihm bleiben.
Stille im Publikum, jeder stellt sich die Frage gerade selbst. Manche sicher nicht zum ersten Mal. Der gesenkte Blick fällt auf den schmalen Untertitel des Programms auf der Eintrittskarte: "Über die Zweckentfremdung der Demenz".
Dombrowski als Selbstmörder? "Wer dabei scheitert und erwischt wird, kommt zwangsweise in die Psychiatrie. [...] Am Weihnachts- und Silvesterabend sitzen wir dann im Gemeinschaftszimmer, vollgepumpt mit Stimmungsaufhellern und dürfen nun länger aufbleiben, weil doch die Ansprachen von Kanzlerin und Präsident so spät kommen." An dieser Stelle denkt man unweigerlich ein paar Minuten zurück, als Dombrowski zeterte:
Thomas von Aquin hat schon vor 600 Jahren vor Typen wie Christian Wulff gewarnt: "Die blasse Harmlosigkeit, die sich leider oft erfolgreich für Sanftmut ausgibt, sollte doch niemand für eine christliche Tugend halten."
Und ein extrovertierter, "Ich reiß einen mit"-Selbstmord? Dombrowski sitzt am Tisch, überlegt, vor ihm eine Pillendose. "20mg pro Kilogramm Körpergewicht. Wissen Sie, wieviele Pillen das bei mir sind? Und wenn ich dann noch, sagen wir mal, den gefesselten Hans-Olaf Henkel oder Hans-Werner Sinn neben mir sitzen hätte. Nein, nein, das dauert zu lange."
Am Ende des Programms brandet tosender Beifall auf, der Künstler bedankt sich artig, ehrlich erleichtert ob des Erfolg seines jungen Programms. Man wirft einen letzten Blick auf das zur Garderobe fliehende Publikum. Bildungsbürger, zu 80% grau-meliert, Generation 50+, ganz typisches Kabarettpublikum, alle für sich wahrscheinlich hochsympathische Menschen.
Aber würde man diesen 950 Leuten auch nur ein kleines bisschen Rebellion gegen "alternativlose" Zustände und Lösungen zutrauen?